TRACELAND * All Fields Are Mandatory

TRACELAND * All Fields Are Mandatory

Jeder weiß es, alle betrifft es, fast jeder macht mit: Microsoft, Apple, Facebook, Amazon und Twitter – auch viele kleine Unternehmen – vernetzen und berechnen mittels sogenannter „Metadaten“ uns und die Welt. Nicht zuletzt die NSA-Enthüllungen von Edward Snowden haben gezeigt: Daten und Metadaten sind das Kapital des 21. Jahrhunderts. Weltkonzerne und Geheimdienste erfassen mit dem Konzept „Big Data“ nicht nur weltumspannende Warenströme, auch das „Humankapital“ wird mittels „Datamining“ aktiviert, erfasst, bewertet, ausgebeutet.

In diesem virtuellen Goldrausch verlieren wir – wie Schuppen – eine unschätzbares Gut: persönliche Standortdaten, Verbindungsdaten, Einkaufswünsche, Interessen in Form von Suchbegriffen oder Newsfeeds, individuelle Profilinformationen wie Hobbies oder den aktuellen Beziehungsstatus – ohne die Sicherheit zu haben, wirklich über Kontrolle über die eigenen, aktiv oder passiv freigegebenen Daten zu verfügen.

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Nicht nur Konzerne werten anfallende Daten ihrer potentiellen Kunden aus, auch Staaten horchen ihre Bürger aus, teilweise um diese zu verwalten (Arbeitsagentur, Sozialamt usw.), teilweise unter dem Vorwand, diese zu schützen (Polizei und Geheimdienste). Mit dem Gefühl berechenbar zu sein geht auch ein fast paranoides Gefühl des Freiheitsverlustes einher. „Dabei gibt es nichts, was sie nicht angreifen. Ob Banken, Versicherungen, Mobilfunkunternehmen, Mailanbieter – überall dort, wo Daten lagern, sind auch Geheimdienste aktiv. Unternehmen müssen sich daher nicht nur vor Diebstahl durch Kriminelle oder kriminell handelnde Konkurrenten schützen, sondern auch vor Staaten, ja sogar vor dem eigenen Staat“ (Malte Spitz: Was macht ihr mit meinen Daten, 217). Nicht erst seit den NSA-Enthüllungen durch Edward Snowden geht die Befürchtung um, der Mensch sei inzwischen komplett durchschaubar und „gläsern“ geworden und es könne durch die maschinelle Kategorisierung von Individuen Missbrauch getrieben werden. Dabei ist z.B. in Hinsicht auf die Rasterdatenfahndung ein passives, zurückgezogenes Datennutzungsverhalten eher verdächtig als ein „normales“ (Schlagwort Schläfer-Terroristen).

„Wir steuern auf eine digitale Datengesellschaft zu, über die wir zu wenig wissen“ (Sascha Lobo). Die Menschen müssen sich also bewegen und ihr Verhalten verändern, um nicht Opfer einer zunehmenden, allumfassenden Kommerzialisierung und Überwachung zu werden. Schon Benjamin Franklin (1706-1790) schrieb: „Wer grundlegende Freiheiten aufgibt, um vorübergehend ein wenig mehr Sicherheit zu gewinnen, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.“ Da auch der Erfolg der Rasterdatenfahndung zweifelhaft ist, werden in der Videoinstallation TRACELAND entsprechend dem Grundsatz, dass auch ein blindes Huhn hin und wieder ein Korn findet, dennoch die in die Personen-Silhouetten willkürlich hineingesetzten Daten hin und wieder auch zu den Individuen passen, die von der Kamera erfasst wurden.

TRACELAND
Mit der begehbaren, interaktiven und immersiven Videoinstallation „Traceland“ untersucht die Künstlergruppe M.o.M. das Verhältnis von individueller Persönlichkeit zu virtueller Identität im Internet. Traceland stellt realen Personen spiegelbildlich eine imaginäre virtuelle Internet-Persönlichkeit gegenüber.
Auf diese Weise werden Ausmaß und Verortung der permanenten Datenproduktion aufgezeigt: An die Gegenüberstellung von realer zu virtueller Identität schließen sich gesellschaftspolitische Fragen an, etwa nach der Weiterentwicklung von Algorithmen zur Prädiktion menschlichen Verhaltens – und ganz grundsätzlich nach den Möglichkeiten von Datengebrauch und Datenmissbrauch im Angesicht von „Big Data“.

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Was passiert visuell:
Mit Hilfe mehrerer Kinect Motion Tracking-Kameras werden in einem abgegrenzten Raum Menschen („Nutzer“) erfasst. In der eigens mit Cinder programmierten Traceland-App werden die erfassten Individuen digital ausgewertet, als Silhouette interpretiert und ihr Inneres sodann mit Daten aus einer Nutzer-Datenbanksimulation (Stichwort „Selektoren“) angefüllt. Je nach Aktivität der Individuen sondern ihre virtuellen Entsprechungen unterschiedliche Mengen an Daten in den virtuellen Raum ab und erschaffen so eine persönliche Daten-Wolke, die sich nach einiger Zeit mit den Daten anderer Nutzer vernetzt. Schließlich wird die virtuelle Welt „Traceland“ über drei Videoprojektoren auf eine Wand gegenüber den realen Menschen ausgestrahlt.

Interaktion:
Traceland ermöglicht mehrere Formen der Interaktion: Sich der Videoinstallation nähernde Zuschauer bleiben zunächst unterhalb einer bestimmten Wahrnehmungsschwelle, bis sie aktiv den Raum betreten und als Nutzer vom Auge der Kamera erfasst werden. Da die Bewegungen der Nutzer gleichzeitig erfasst und ihnen gegenüber projiziert werden, identifizieren sich reale Personen unmittelbar mit ihrer virtuellen Identität. (1) Bewegt man sich, bewegt sich spiegelbildlich zugleich auch die virtuellem Entsprechung. (2) Je schneller man sich bewegt, desto mehr Daten sondert die eigene virtuelle Entsprechung in den virtuellen Raum ab, sodass eine Daten-Wolke entsteht. (3) Mit den Händen kann man versuchen, die Daten im virtuellen Raum zu greifen oder zu bewegen. Allerdings kann man die Daten nicht wirklich festhalten oder gar löschen – das Internet vergisst nicht.

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Selbstverständlich werden aus Datenschutzgründen in Traceland keine echten Daten von den Zuschauern abgegriffen, auch wenn dies durchaus interessant wäre und eine Umsetzung mittelfristig vorstellbar ist. Die in den virtuellen Clustern dargestellten Texte stammen aus einer zuvor ausgearbeiteten Nutzerdatenbank, die randomisierte Nutzerselektoren enthält. Selektoren sind verschiedenste Metadaten (z.B. MAC-Adresse, IP-Adresse, Browser, Displaygröße und -sprache) und persönliche Daten (z.B. Alter, Geschlecht, Adressen, Telefonnummern).
Metadaten werden bei der Internetnutzung passiv abgegeben: Will man eine Website aufrufen, benötigt man z.B. IP-Adressen zur Kommunikation zwischen Host (Website) und Client (Internet-Browser). Auch kann ein Host beispielsweise die Displaysprache des Clientbrowsers abfragen, um die angefragte Host-Website in der entsprechenden Nutzersprache des Client-Browsers darzustellen.
persönliche Daten werden bei Internetnutzung aktiv preisgegeben, etwa wenn man Abfragefelder auf Webseiten ausfüllt (z.B. Suchanfragen bei Google, das eigene Nutzerprofil bei Facebook, Adressdetails bei einer Bestellung bei Amazon usw.).

Die Traceland-Nutzerdatenbank umfasst derzeit gut 500 Datensätze (Nutzerprofile) die sich mit Hilfe von 100 Selektoren („Daten-Kategorien“) abfragen lassen, wie z.B. nach IP-Adressen, MAC-Adressen häufig genutzer Geräte, Kreditkarten- und Telefonnummern, Hobbies, Krankheiten, den Beziehungsstatus und vieles mehr. Kein Vergleich zu der laut Wikileaks angeblich über 40.000 Selektoren umfassenden Nutzerdatenbank der NSA aller Menschen. Ein Auszug der deutschen Selektoren-Liste wurde keine zwei Wochen nach Erstaufführung von Traceland veröffentlicht und kann auf Wikileaks eingesehen werden: https://wikileaks.org/nsa-germany/selectors.html

TRACELAND – INTERACTIVE VIDEO INSTALLATION BY „MORONS OF MOTION“ (Erstaufführung: Juni 2015)

Technische Daten:
Begehbare interaktive Videoinstallation für 3 Videoprojektoren mit 3 Kinect Motion-Tracking Kameras und Datenauswertung via Cinder.

Größe:
ca. 4mx15m, Entfernung der Projektoren-Projektionsfläche: 5m
Videoauflösung: 3840×1024 Pixel (3 Projektoren á 1280x800px)

Beteiligte:
Idee, Konzept, Gestaltung und technische Umsetzung: Francis Eggert (Hamburg), Yochanan Rauert (Münster), Sven Stratmann (Münster)
Programmierung: Thomas Sanchez Lengeling (Guanajuato, Mexico) – //codigogenerativo.com/

Kontakt & Info:
aquiet.francis@gmail.com
info@7dex.de
traceland.7dex.de

Aufführungsorte:
Traceland bei Flurstücke 015

short:
The interactive video installation addresses the issue of „Big Data“ and the constant production of data by individuals using technical devices, leaving a more and more constant trace of their actions and movements.
Morons of Motion: „Traceland *all fields are mandatory“ // Videoinstallation